Mit Milch und Zucker ins Gefängnis – Die Lage der syrischen Flüchtlinge im Libanon

Bericht von Christian Springer, Mai 2013

Die Fahrt durch das libanesische Beqaa-Tal wird jäh unterbrochen. Meine Begleiter verstummen und starren auf ihr Handy. Alle drei haben gleichzeitig die Meldung über den Bombenanschlag in Damaskus erhalten. Von Damaskus trennen uns in diesem Augenblick 45 Kilometer. Doch dazwischen liegt die libanesisch-syrische Grenzstation, die immer noch unter der Kontrolle der syrischen Regierungstruppen liegt. „Ich muß meine Schwester anrufen. Sie arbeitet ganz in der Nähe des Explosionsortes.“ Die Stimme meiner syrischen Begleiterin zittert. Der wiederkehrende Klingelton am anderen Ende der Leitung quält uns. Es meldet sich niemand. Dann ein zweiter Versuch, ein dritter, ein vierter. Endlich die erlösende Stimme der Schwester, es ist ihr nichts passiert. Inzwischen weiß man von über 10 Toten und Dutzenden Verletzten. Mit dem Anschlag ist niemandem geholfen. Selbst für die Gegner Assads bedeutet er nur eines: Terror.

Auf den Bergen des Libanon glänzen die Schneefelder. Im Tal steht alles in voller Blüte. „Die Beqaa“, wie das Hochtal im Libanon genannt wird, war zu Zeiten Cäsars die Kornkammer im Osten des Römischen Reiches. Seit den 70er Jahren steht der Name des Beqaa-Tals für Entführungen, Bürgerkrieg und Hisbollah. Hierher haben sich inzwischen hunderttausende Syrer vor den Bomben in ihrem Land geflüchtet. Sie stehen an der Straße, weinende Kinder an der Hand, verzweifelt und traumatisiert. Kein Brot, kein Arzt, kein Job in Sicht. Täglich kommen neue Flüchtlinge an, inzwischen geht man von

1 Million Syrern im Land aus. Der Libanon mit nur 4 Millionen Einwohner kann das nicht verkraften. Wer glaubt, dass die Weltgemeinschaft nun in kürzester Zeit hier Zeltstädte aufbaut und die bedürftigen Menschen mit sauberem Trinkwasser versorgt, wird enttäuscht. Es sind die kleinen privaten Hilfsorganisationen und die endlose Hilfsbereitschaft der moslemischen Nachbarn, die dafür Sorge tragen, dass die Menschen aus Syrien überleben können. Ich bin mit einer kleinen Gruppe unterwegs, gemischt aus Syrern und Libanesen. Studenten, Lehrer, ein ehemaliger Richter. Sie sammeln in Beirut Spenden und verbringen jede freie Minute damit, den Flüchtlingen in der Beqaa zu helfen. Unser Verein Orienthelfer hat sich mit den einheimischen Helfern zusammengetan und nun bin ich selbst vor Ort. Mit unserem Spendengeld aus Deutschland wurden bereits Lebensmittel, Schuhe, Zelte und Öfen gekauft, heute eine Waschmaschine.

Acht große Kisten voller Decken aus Bayern habe ich diesmal im Gepäck. In einem kleinen libanesischen Dorf, zweihundert Meter von der syrischen Grenze entfernt, halten wir vor einem fensterlosen Gebäude. Eine rostige Eisentür versperrt den einzigen Zugang. Im libanesischem Bürgerkrieg diente der gespentische Bau als Gefängnis, seit ein paar Monaten haben dort 25 syrische Familien Schutz gefunden. An den Eisentüren im Inneren hängen noch immer schwere Ketten, die kleinen Fensterchen, die in den Innenhof führen, sind vergittert. Die private libanesische Hilfsorganisation installierte einen Stromanschluß und baute eine kleine Wasserleitung. Im Vergleich zu den anderen x-tausend Flüchtlingen in der Beqaa bedeutet dies Luxus.

Die in der Beqaa ansässige Hisbollah-Miliz ist eine ständige Bedrohung für die syrischen Flüchtlinge. Die Hisbollah, die im Libanon an der Regierung beteiligt ist, steht offen zum syrischen Diktator Assad. Schwer bewaffnet dringen sie nachts in die Unterkünfte der Flüchtlinge und bezichtigen jedermann, ein kämpfendes Mitglied der Freien Syrischen Armee zu sein. „Wie denn?“, sagt ein alter Syrer zu mir und hält mir sein kaputtes Bein entgegen, mit dem er sich ohne fremde Hilfe keinen Schritt nach draußen bewegen kann.

Die Syrer stammen aus verschiedenen Teilen Syriens, aus Homs, aus Bauernhöfen im Süden, aus den östlichen Wüstengebieten, alle haben eine lebensbedrohliche Fahrt hinter sich. Sie teilen das gleiche Schicksal: ihre ganze Habe wurde mitsamt ihren Häusern ist zerstört und jede Familie hat im engsten Kreis Todesopfer zu beklagen. Alle mussten ihre Heimat verlassen und befinden sich auf fremden Boden, oft im Freien, bestenfalls in einem Kuhstall, den ihnen ein barmherziger libanesischer Bauer überlassen hat.

Die Vereinten Nationen kennen die Flüchtlinge nur aus dem Fernsehen. Vor Ort ist kein Helfer der Weltgemeinschaft zu erblicken. Bis vor kurzer Zeit hat die UNO in absoluten Notfällen 85% der Operationskosten für Syrer in libanesischen Krankenhäusern übernommen. Vor zwei Wochen wurde die Rate auf 50% gesenkt. Die Flüchtlingszahlen im Libanon steigen täglich, die UNO kürzt die Hilfe. Obwohl das Auswärtige Amt die humanitäre Katastrophe längst so groß einschätzt wie nach Fukishima oder dem Tsunami. „Wir beten zu Gott. Sonst ist ja niemand da.“, erklärt mir eine junge Frau aus einem Vorort von Damaskus, wie sie das alles durchstehen können.

„In vier Wochen komme ich wieder.“, sage ich beim Abschied zu einigen Syrern im Beqaa-Tal. Sie lächeln mich tapfer an. Aber sie glauben mir nicht. Zu viele Versprechungen hat man ihnen schon gemacht, und nicht gehalten – aber wir kommen wirklich wieder. Nur die Kleinen helfen groß, sagt ein Scheich aus der Beqaa. Und er hat recht. Es steht kein einziges Zelt der UNO in seinem Tal. Am späten Abend kommen wir nach Beirut zurück. Ein 19-jäh-riger Flüchtling aus Syrien hat sich im Süden der Stadt mit Benzin überschüttet und angezündet. Eine Verzweiflungstat. Er überlebt mit schwersten Verbrennungen. Es ist Krieg, und keiner hilft.